Grundrechtsschutz

Mit der Grundrechtscharta der Europäischen Union wurden die EU-Grundrechte erstmals umfassend niedergelegt. Sie definiert in klarer und übersichtlicher Form die Rechte und Freiheiten der Menschen, die in der Europäischen Union leben. Mit dem Vertrag von Lissabon 2009 wurde sie rechtsverbindlich. Die Rechte der Charta sind von den Organen und Institutionen der Union ebenso wie von den Mitgliedstaaten, wenn sie die EU-Rechte umsetzen, zu achten und zu garantieren. Die Charta orientiert sich an den Verfassungstexten der Mitgliedsstaaten, geht aber in ambitionierter Weise vielfach über diese hinaus, etwa was moderne, soziale Rechte anbelangt.

Die Charta fasst die Gesamtheit der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der europäischen Bürger sowie aller im Hoheitsgebiet der Union lebenden Personen zusammen. Sie besteht aus 54 Artikeln und unterscheidet die Rechte in sechs große Kapitel: 

  • Würde des Menschen, 
  • Freiheiten, 
  • Gleichheit, 
  • Solidarität, 
  • Bürgerrechte und 
  • Justizielle Recht. 

Um die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte zu gewährleisten, wurde 2007 die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte eingerichtet. Diese hat die Aufgabe, die relevanten Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der EU und ihrer Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts in Bezug auf die Grundrechte zu unterstützen. Zudem gehört zu ihren Aufgaben die Erfassung und Analyse verlässlicher Daten zum Thema Grundrechte, die Erstellung von Gutachten und Bereitstellung von Fachwissen, die Publikation eines jährlichen Grundrechteberichts oder auch die Förderung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft zu Grundrechtsfragen.

Das europäische Recht hat prinzipiell Anwendungsvorrang gegenüber nationalem Recht, steht jedoch nicht „über“ dem Grundgesetz. Innerstaatliches Recht und dessen Anwendung sind nur dann an dem Maßstab der Charta zu messen, wenn die „Durchführung von Unionsrecht“ in Frage steht. Gerade wenn es um den Schutz der Grundrechte geht, behält sich das Bundesverfassungsgericht prinzipiell vor, als letzte Instanz Recht sprechen und gegebenenfalls europäischen Recht und Rechtsprechung ignorieren zu können, falls der europäische Grundrechtsschutz das laut dem Grundgesetz erforderliche Schutzniveau unterschreiten sollte. Andererseits gab es bereits wichtige Entscheidungen des EuGH, die dazu führten, dass das Grundgesetz geändert werden musste, weil einzelne Artikel nicht gemeinschaftsrechtskonform waren. Das Verhältnis von Grundgesetz und EU-Recht wird zukünftig entscheidend davon abhängen, inwieweit der EuGH willens und in der Lage ist, den europäischen Grundrechtsschutz weiter auszubauen, sich aber eine gewisse richterliche Zurückhaltung aufzuerlegen, und davon, ob das BVerfG diese Rechtsprechungsleistungen des EuGH mit Wohlwollen registriert und im europarechtlichen Bereich bewusst auf eine Intervention verzichtet. Die Konstruktion der Grundrechte aus der Grundrechtecharta ist mit der im Grundgesetz verankerten Struktur vergleichbar. Es wird zunächst 

  1. der Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts bestimmt, 
  2. festgestellt, ob der Schutzbereich eingeschränkt worden ist und 
  3. nach einer Rechtfertigung für den Eingriff gesucht.